Sie sind hier

04.09.2013

Microsoft kauft Nokias Handy-Sparte

Nokia gibt das kriselnde Kerngeschäft auf und verkauft es an Microsoft. Künftig konzentriert sich Nokia auf Netzwerkausrüstung, Navigationsdienste sowie auf Forschung, Entwicklung und sein breites Patente-Portfolio.

Der amerikanische Softwarekonzern Microsoft akquiriert das Mobiltelefongeschäft von Nokia. Wie die beiden Unternehmen am Dienstagmorgen bekanntgaben, bietet Microsoft für die Kernsparte Devices and Services, die sowohl die Lumia-Smartphones wie auch die billigeren Massen-Mobiltelefone enthält, 3,79 Mrd. €. Für weitere 1,65 Mrd. € erhalten die Amerikaner während zehn Jahren Lizenzen an Nokias Patenten, wodurch sich der Kaufpreis auf 5,44 Mrd. € summiert. Microsoft, das die Summe aus den liquiden Mitteln deckt, will Nokia unmittelbar 1,5 Mrd. € in Form von Wandelanleihen zur Verfügung stellen. Die Transaktion, der die Aktionäre der Unternehmen und die Wettbewerbsbehörden zustimmen müssen, soll im ersten Quartal 2014 vollzogen werden.

Flaggschiff in Schieflage

Das Flaggschiff der finnischen Wirtschaft trennt sich damit von seiner einst kostbaren Last, die zu schwer geworden und das ganze Schiff in Schieflage gebracht hat. Nokia hofft, mit halbem Gewicht wieder einen flotteren Kurs einzuschlagen. Mit dem Mobiltelefon-Geschäft, das rund 14,9 Mrd. € Umsatz generiert, verliert Nokia die Hälfte des letztjährigen Umsatzes. Vom geplanten Verkauf sind rund 32 000 Nokia-Beschäftigte betroffen, unter ihnen 4700 in Finnland und 18 300 Personen in der weltweiten Handy-Produktion. Auch die Design-, die Verkaufs- und die Marketing-Abteilung wechseln zu Microsoft. Dasselbe gilt für Konzernchef Stephen Elop. Der Kanadier, der vor drei Jahren zu Nokia stiess, wird wieder zu seinem früheren Arbeitgeber zurückkehren. Um Interessenkonflikte zu vermeiden, beschränkt er sich auf die Position des Executive Vice President in der Mobilsparte. Nokia-Verwaltungsratspräsident Risto Siilasmaa übernimmt interimistisch die Führung von Nokia.

Siilasmaa, der in Helsinki die Aufgabe übernahm, seinen Landsleuten das Ende der finnischen Mobiltelefon-Saga zu erklären, sprach von einer «rational sehr klaren, emotional aber enorm komplizierten Entscheidung». Seit Microsoft-Chef Steve Ballmer im Februar erstmals in Sachen Übernahme angeklopft habe, sei der Nokia-Verwaltungsrat sicher 50 Mal zusammengesessen, um alle Alternativen zu prüfen. Der nun vereinbarte Verkauf stellte Siilasmaa als beste Lösung dar, indem die Mobiltelefonsparte in einem neuen Ökosystem, das Software, Hardware und Dienste vereine, am besten aufgehoben sei.

Die Veräusserung der Handy-Sparte markiert das Ende der vor zweieinhalb Jahren eingeleiteten strategischen Smartphone-Allianz von Nokia mit Microsoft. Der finnische Weltmarktführer wurde damals hart bedrängt durch die Konkurrenz: Einerseits führte Apples iPhone einen rasanten globalen Siegeszug, anderseits verwies Googles Betriebssystem Android das finnische Pendant Symbian auf die Plätze.

Zu Beginn vermochte Nokia die Ertragseinbussen bei den lukrativen Smartphones im Massenmarkt zu kompensieren, doch die zunehmende Konkurrenz durch aggressive asiatische Billiganbieter besiegelte das Schicksal der Finnen. Deren auf der Windows-Plattform basierendes Handy Lumia ist mit einem Anteil von 3% ein kleiner Spieler auf dem globalen Smartphone-Markt geblieben. Nokias gesamter Marktanteil ist seit 2007 von 40% auf 15% eingebrochen.

Mittel für den Neuanfang

Der erwartete Verkaufserlös von 3,2 Mrd. € hilft Nokia, die umsatz-, ertrags- und wertmässig nur noch ein Schatten seiner selbst war, eine neue Erfolgsgeschichte aufzubauen. Konstanter Wandel ist in der Tat eine Konstante bei Nokia: Bevor der Konzern mit Telefonen reich wurde, hatte er unter anderem Papier und Gummistiefel, Kabel und Strom produziert. Nach dem Ausstieg aus dem Handy-Geschäft wird sich der Konzern mit 56 000 Beschäftigten auf drei Sparten konzentrieren. Gewichtigste Säule ist der Netzwerkausrüster Nokia Solutions and Networks (NSN), das einstige Joint Venture mit Siemens, das sich auf Infrastruktur für mobiles Breitband und Dienstleistungen konzentriert. Weil ein Verkauf des Gemeinschaftsunternehmens misslang, haben die Finnen den deutschen Partner vor Monatsfrist ausgekauft und führen nun das gesundgeschrumpfte Infrastruktur-Geschäft alleine. Damit werden Nokia und die schwedische Ericsson, die die Konzentration auf das Ausrüstungsgeschäft schon vor über einem Jahrzehnt vollzog, wieder Konkurrenten.

Zweites Kerngeschäft der neuen Nokia sind die Navigations- und Kartendienste (Here), die zum «führenden unabhängigen Cloud-Anbieter aufsteigen» sollen. Die dritte Sparte, Advanced Systems, umfasst über 10 000 Patentfamilien, für die Nokia Lizenzen vergibt; das Portfolio soll weiter ausgebaut werden.

Von finnischen Medien befragte Einwohner reagierten teilweise mit Schock und Sorge um die Arbeitsplätze, andere nannten das Ende des nationalen Kleinods Nokia eine Schande, wenn es auch absehbar gewesen sei. Auch die Rolle von Nokia-Chef und Ex-Microsoft-Manager Elop weckt Fragen über eine mögliche versteckte Agenda. Ein Gewerkschaftsvertreter meinte, dass es Sachen gebe, die kein reiner Zufall sein könnten. Dass der Hauptsitz in Espoo bleibt, die Rest-Nokia 56 000 Beschäftige zählt und Microsoft in Finnland 250 Mio. $ in ein neues europäisches Datenzentrum investieren will, war am Dienstag ein kleines Trostpflaster. Obwohl seit längerem über einen Verkauf von Nokia spekuliert worden war, überraschte der Zeitpunkt viele Analytiker, zumal die Absatzkurve der Lumia-Modelle zuletzt zu steigen schien.

NZZ vom 3. September 2013