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04.03.2014

Im Bann der US-Notenbank

Die Analyse des Börsengeschehens gleicht einem grossen Puzzle. Zu den wichtigsten Teilen innerhalb des bunten Bildes gehört das monetäre Umfeld. Es wird primär durch Aktionen der für den jeweiligen Währungsraum zuständigen Zentralbank über die Festlegung des Leitzinses bestimmt. Zum monetären Umfeld kann man zudem die Prime Rate zählen. Sie gibt an, zu welchem Zinssatz die grossen amerikanischen Geschäftsbanken kurzfristige Kredite an Industrieunternehmen mit erstklassiger Bonität geben. Manche Börsenexperten, wie beispielsweise der legendäre Martin Zweig, rechnen auch die Entwicklung der Konsumentenkredite im weiteren Sinn zum monetären Umfeld einer Volkswirtschaft.

Grosse Beachtung finden am Finanzmarkt jeweils die Veröffentlichung des US-Zinsentscheids im Anschluss an das zweitägige Treffen des für die Geldpolitik zuständigen Gremiums sowie die zwei Wochen später stattfindende Bekanntgabe des Protokolls dieser Sitzung, die «Minutes». Aufgrund der Bedeutung des monetären Umfeldes für den Aktienmarkt, aber auch den Anleihen- und Devisenmarkt, kommt es an den Tagen der Publikation des Zinsentscheides sowie des Protokolls immer wieder zu Wendepunkten an den Märkten, wie die beiden Grafiken zeigen. Die Veröffentlichung erfolgt dabei jeweils auf die Sekunde zu einer bestimmten Uhrzeit – Millisekunden später geraten die Kurse an den Finanzmärkten in hektische Bewegung.

Die US-Notenbank (Fed) hält acht Zinssitzungen pro Jahr ab. Im Anschluss an jede wird eine Pressemitteilung veröffentlicht, welche die Einschätzung des Gremiums zur aktuellen wirtschaftlichen Lage enthält. Dieses Communiqué gehen Marktteilnehmer im Prinzip Wort für Wort durch und suchen nach Veränderungen zum Vormonat, um daraus Rückschlüsse auf etwaige künftige Änderungen des Leitzinses zu ziehen. Seit Januar 2012 findet darüber hinaus viermal im Jahr im Anschluss an die Zinssitzung eine Pressekonferenz statt. Dies geschieht in den Monaten Januar, Juni, September und Dezember.

Das Gleiche wie für die Pressemitteilung nach der Fed-Sitzung trifft für die Veröffentlichung des Protokolls der jeweils letzten Sitzung zu. Jedes Treffen des Gremiums wird protokolliert. Die veröffentlichte Variante ist allerdings nicht mit einem tatsächlichen Protokoll vergleichbar. Bevor das Dokument den Marktteilnehmern zukommt, wird es sehr stark redigiert, manche Beobachter sprechen sogar von poliert.

An welchen Terminen es tatsächlich zu einer Trendwende gekommen ist, darüber kann man in manchen Fällen trefflich streiten. Zudem sind natürlich immer Zufallskorrelationen möglich, wenngleich dies Ausreisser sein dürften. Ebenso wie zu Trendwenden kann es auch zu Trendbestätigungen kommen, etwa indem die Notenbanker ihre herrschende Meinung nochmals genauer erläutern oder untermauern und sich somit die bereits bestehenden Trends fortsetzen. Vor allem in den vergangenen Jahren, als die US-Notenbank unter dem Schlagwort «quantitative easing» aussergewöhnliche geldpolitische Massnahmen traf, war an deren Anfang und Ende die Bedeutung der Analyse der Notenbank für den Markt nochmals gestiegen.

Über die genannten Publikationen hinaus können Notenbanker das Geschehen an den Märkten auch verbal stark beeinflussen. Dies passiert üblicherweise auf Pressekonferenzen, die je nach Notenbank immer oder manchmal im Anschluss an die geldpolitische Sitzung abgehalten werden. Ferner halten viele Präsidiumsmitglieder einer Zentralbank regelmässig Reden an öffentlichen und halbprivaten Anlässen. Bei der US-Notenbank heisst das geldpolitische Gremium «Federal Open Market Committee», kritische Beobachter sprechen angesichts der Redseligkeit der Mitglieder bei Festakten auch ironisch vom «Federal Open Mouth Committee».

NZZ vom 4. März 2014